Zum dritten Mal ein Nein zur geplanten Neuüberbauung beim Bahnhof: An der Erlenbacher Gemeindeversammlung wurde der Aufhebung des Gestaltungsplans Bahnhofstrasse erneut zugestimmt. Allerdings ist ein Stimmrechtsrekurs hängig.
Rund 300 Stimmberechtigte Erlenbacherinnen und Erlenbacher fanden sich in der Sporthalle Allmendli am ersten Abend der mehrtägigen Gemeindeversammlung ein. Sie hoben den öffentlichen Gestaltungsplan Bahnhofstrasse mit 156 zu 132 Stimmen trotz diversen positiven Voten auf. Damit können die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) die geplante 91 Meter lange Grossüberbauung beim Bahnhof mit Wohnungen und Läden mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht realisieren.
Es ist allerdings noch ein Stimmrechtsrekurs beim Bezirksrat hängig, der den Entscheid umwerfen könnte. Dieser Stimmrechtsrekurs betrifft auch das Geschäft Sigst Süd. Die Teilrevision dieses privaten Gestaltungsplans wurde von der Gemeindeversammlung deutlich angenommen.
Ebenfalls angenommen wurde die Rechnung der politischen Gemeinde Erlenbach. Sie weist einen Ertragsüberschuss von 4,7 Millionen Franken aus. Zudem wurde die Jahresrechnung der gemeinsamen Sekundarschule Erlenbach-Herrliberg genehmigt.
Die Anwesenden entschieden weiter, beim Traktandum Teilrevision der Bau- und Zonenordnung auf einen Mehrwertausgleich zu verzichten. Der Gemeinderat hatte 20 Prozent beantragt.
«Koloss» schon lange umstritten
Das von den SBB geplante Gebäude beim Bahnhof Erlenbach war den Stimmberechtigten schon seit längerer Zeit ein Dorn im Auge. Sie bezeichneten es wegen seiner Grösse als «Koloss». Grund für diese Dimensionen ist, dass der seit 2012 geltender öffentlicher Gestaltungsplan eine grössere Überbauung ermöglicht hätte, als es die reguläre Bau- und Zonenordnung zulassen würde.
An den Dimensionen des Vorhabens störten sich die Erlenbacher Architektin Christiane Brasseur und zahlreiche Mitstreiter. Sie reichten deshalb eine Initiative zur Aufhebung des Gestaltungsplans ein. Zweimal stimmte ihnen eine Mehrheit der Stimmberechtigten zu, zuerst an einer Gemeindeversammlung im Juni 2023, dann im November 2023 an der Urne.
An der Gemeindeversammlung am vergangenen Montag hatten die Erlenbacher Stimmberechtigten ein drittes Mal über das Thema zu befinden, denn der Gemeinderat musste, gestützt auf den bisherigen Volksentscheid, eine Vorlage zur Umsetzung der Initiative ausarbeiten. Diese Umsetzungsvorlage, in welcher es vorwiegend um Anpassungen in der Richtplanung sowie der Bau- und Zonenordnung ging, wurde von Bauvorstand Martin Dippon (FDP) und Gemeindepräsident Philippe Zehner (parteilos) ausgeführt. Dies bot den Befürwortern des Gestaltungsplans Bahnhofstrasse Gelegenheit, sich nochmals deutlich fürs SBB-Projekt auszusprechen.
Raymond Stark, Experte für Baurechtsfragen, hielt fest, dass es ein gelungenes Vorhaben sei. Er betonte: «Wir sollten nicht alles bewahren, wie es vor 50 Jahren war, sondern in die Zukunft schauen.» FDP-Präsident Christian Kunz hielt fest: «Die SBB brauchen Rechtssicherheit.» Er plädierte deshalb für ein Nein zur Umsetzungsvorlage. Weitere Voten für den Gestaltungsplan Bahnhofstrasse thematisierten die Schaffung von Wohnraum im Zentrum, eine massvolle Innenverdichtung, Unterstützung des Gewerbes und «kein Heimatschutzdörfli».
Die Gegner des Gestaltungsplans waren anderer Meinung: René Schwarzenbach stellte das Demokratieverständnis in Frage. «1434 Leute haben an der Urne zum Ausdruck gebracht, dass sie das SBB-Projekt nicht wollen.»
Die zahlreichen positiven Voten überzeugten nicht. Die anwesenden Stimmberechtigten hoben den Gestaltungsplan Bahnhofstrasse auf. Ein Stimmrechtsrekurs beim Bezirksrat stellt den Entscheid allerdings infrage, wie Gemeindepräsident Zehnder festhielt. Der Rekurrent bemängelt die Darstellung der Vorlage im Abstimmungsbüchlein. «Der Stimmrechtsrekurs hat keine aufschiebende Wirkung», stellte Zehnder gleich zu Beginn der Versammlung klar.
Mit der Aufhebung des Gestaltungsplans Bahnhofstrasse wird die ehemalige Gestaltungsplanverpflichtung gemäss Zonenplan im Stand vor 2012 wieder eingeführt, das heisst für das Güterschuppenareal und das Aufnahmegebäude der SBB. Zudem wird die Ausnutzung auf neu 70 Prozent festgelegt. Ob die Gemeinde deshalb entschädigungspflichtig wird gegenüber den Grundeigentümern, lässt sich gemäss Zehnder zurzeit nicht sagen.
Ja zum privaten Gestaltungsplan
Mit der Aufhebung des öffentlichen Gestaltungsplans Bahnhofstrasse entstand für den privaten Gestaltungsplan «Sigst Süd» ein Regelungsdefizit. Er musste an diversen Stellen angepasst werden. Dieser Teilrevision des Gestaltungsplans «Sigst Süd» stimmten die Anwesenden deutlich zu. Hier befürchteten einige, dass Hochhäuser entstehen könnten, was von anwesenden Eigentümern verneint wurde.
Der zweite Teil der Gemeindeversammlung in Erlenbach fand am Dienstagabend nach Drucktermin des «Küsnachters» statt.