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"Ich kann nicht nur in die Luft starren"

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Magdalena Hoerl aus Küsnacht feiert nächste Woche Geburtstag. Sie wird 100 Jahre alt. Die Seniorin ist munter und gerne unterwegs – ihr Interesse an der Welt ist ungebrochen.

 «Ich bin in eine miese Zeit hineingeboren, ich hätte sie nicht gewählt», sagt Magdalena Hoerl. Aber hadern tut die Seniorin nicht – im Gegenteil. Ihr Humor ist erfrischend, sie reiht Episode an Episode aus ihrem Leben. Es ist gut lachen mit ihr. «Man muss etwas machen, sonst versumpft man», lautet ihre Devise zum Altsein.

Ihre Wohnung liegt unweit des Zürichsees. Praktisch, übersichtlich und gemütlich. Hier lebt die Seniorin, sie braucht keine Hilfe und kocht sich jeden Tag ein Gericht. Milchkrügchen stapeln sich in einem Gestell. Ja, sie sei eine Sammlerin, erklärt die gebürtige Österreicherin. Und was hier nicht Platz findet, komme nach Sankt Johann in ihre 3,5-Zimmer-Wohnung. «Meine Pflegemutter hat mir und meinem Bruder das Haus vermacht.» Ihr Bruder ist 95.

Eine Jugend in Armut

Am 16. Oktober 1919 wurde Magdalena Hoerl in Sankt Johann in Tirol als eines von neun Kindern geboren. Die Armut zwang die Eltern, die wenige Monate alte Magdalena einer kinderlosen Tante zu geben. Arbeiteten die Pflegeeltern als Tagelöhner auf der Alp, blieb das Kleinkind in der Hütte eingeschlossen, sich selbst überlassen. Die Pflegeeltern kamen erst abends wieder zurück von der Arbeit. Manchmal staune sie selber, wie sie alles überlebt habe. Die Pflegeeltern seien gut gewesen, aber die Zeiten hart. Einen Beruf konnte sie nicht lernen, früh musste sie im Haushalt und auf dem Bauernhof arbeiten. Kinder hatten damals keine Rechte und Mädchen sowieso nicht.

Acht Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kommt die 34-jährige Tirolerin in die Schweiz, um Geld zu verdienen. Viele Jahre arbeitet sie in Urnäsch als Pflegerin im Kinderheim für Schwererziehbare, dann sucht sie einen Tapetenwechsel. Sie absolviert eine Ausbildung als Krankenpflegerin beim Roten Kreuz und arbeitet im Altersheim in Küsnacht. Küsnacht als Wohnort habe sie gewählt, weil es hier schön sei und der Flughafen nah. Denn Reisen ist ihre Leidenschaft. Magdalena Hoerl bereiste die Welt. Um nur einige Fernziele zu nennen: dreimal Neuseeland, einmal Australien, USA und Kanada.

Heute noch ist sie gerne unterwegs, aber das Fliegen sei ihr zu kompliziert geworden. Jetzt reise sie halt mit dem Car und im Zug. Und brauche sie Hilfe unterwegs, frage sie halt. Alle würden gerne helfen, so ihre Erfahrung. «Nur diejenigen im Alter zwischen 40 bis 60, die fragt man besser nicht.»

«Ich kann nicht nur herumsitzen und in die Luft starren. Lieber beschäftige ich mich mit Stricken, Lesen, Patiencen legen und TV schauen.» Und Freundschaften pflegen, «denn schwatzen tue ich auch gerne». Auch mit 100 Jahren ist ihr Interesse am Weltgeschehen ungebrochen und an der Küsnachter Politik sowieso. Schliesslich wolle sie wissen, ob es wieder was gebe, über das man sich ärgern müsse.

Ein ungebundenes Leben

«Heiraten war nie ein Thema für mich», winkt sie ab. «Ich konnte mir nie vorstellen, gebunden zu sein.» Vielleicht war die Pflegemutter nicht ganz unschuldig an ihrem Freiheitsdrang. Sie habe immer gesagt, «gang use, musst einfach zum Essen wieder hier sein».

Langweilig ist es klein Magdalena nie geworden. Als Mädchen war sie stundenlang alleine unterwegs, habe im Wald Pilze gesammelt und daheim auf den Holzherd gelegt. «Ist der Rand des Pilzhutes blau geworden, ass ich ihn nicht», erklärt sie ihre Theorie über giftige Pilze. «Es hat funktioniert – passiert ist mir nie was.» Dann lacht sie über sich selber.

«Ach, sehe ich alt aus», befindet die alte Dame selbstironisch, beim Betrachten ihres Fotos auf dem Display des Fotoapparates, «schauen Sie, wie ich mal aussah.» Und sie zückt einen alten Pass, wo ihr 17-jähriges Ich ernst und selbstbewusst in die Welt blickt. (Elsbeth Stucky)