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Ein Küsnachter, der die Welt inspirierte

Erstellt von Nadia Saadi |
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Anfang September verstarb Hansjörg Huber (75). Der Küsnachter hat mit seiner Organisation Atlas Kinder in der Nähe von Marrakesch ein grosses Kinderdorf errichtet. Die Brüder Alain Huber und Yves Huber wollen nun mit Stiefbruder Philippe Stuker die humanitäre Mission ihres Vaters fortführen.

Marrakesch Marktplatz, Abendstimmung. Die Sonne verabschiedet sich mit spektakulärem Schauspiel. Hubers Stiefsohn, der in Küsnacht lebende Philippe Stuker, sitzt in einem Café am Rande der Strasse und nippt an seinem Minztee. Er wirkt nachdenklich. «In unseren Breitengraden spielt das Streben nach Geld, Macht und Erfolg eine grosse Rolle. Das ist aber nicht das Wichtigste im Leben. Wichtig sind Liebe, Wärme und Geborgenheit. Diese Werte werden bei uns oft vergessen», sagt er und führt aus: «Der Umgang mit den Kindern im Dorf ver­ändert unseren Blick auf das Leben. Er macht uns weicher und auch demütiger. Meine Brüder und ich haben alle auch eigene Kinder, die wir lieben. Natürlich nehmen wir sie mit ins Kinderdorf und versuchen, ihnen auch auf diese Weise, ein anderes Wertesystem zu vermitteln.»

Wohlergehen der Kinder zuerst

«Unsere Verbundenheit zum Dorf war von Anfang an sehr stark. Unser Vater sagte immer, er sei auch Vater von 200 Kindern. So gesehen sind die Kinder im Dorf gewissermassen unsere Geschwister», ergänzt Alain Huber, der mit seinem wachen Blick und seinem warmen Lächeln ein wenig an seinen Vater erinnert. Der Unternehmensberater widmet sich zurzeit direkt vor Ort den dringenden Aufgaben, die jetzt anstehen. «Das Wohlergehen der Kinder steht für uns natürlich an erster Stelle», erklärt er. «Den Kindern im Dorf geht es sehr gut und wir werden alles tun, damit es so bleibt.»

Auch der Wirtschaftsinformatiker Yves Huber, der in der Nähe von Zürich wohnt, möchte regelmässig nach Marokko fliegen, um seine Brüder zu unterstützen. «Mein Vater ging täglich ins Dorf und obwohl er fast ununterbrochen arbeitete, nahm er sich doch immer auch Zeit für eine Umarmung, ein Lächeln, ein Spiel mit den Kindern ...» Er wischt sich über die Augen. «Jetzt heisst es, keine Zeit verlieren und Ärmel hochkrempeln! Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und werden alles geben, um diese grosse Aufgabe gemeinsam zu stemmen.»

Der Marketingexperte Philippe Stuker, der gemeinsam mit anderen die neue Website für die Organisation Atlas Kinder entwickelte, erklärt: «Wir werden den laufenden Betrieb sowie die Weiterentwicklung des Dorfes über unsere Familienstiftung Atlas Kinder Schweiz absichern. Dabei achten wir auf Transparenz und Nachhaltigkeit, um auch den nächsten Generationen eine Zukunft zu schenken und somit die humanitäre Mission unseres Vaters fortzuführen, so wie er es sich gewünscht hat.» Er führt aus: «Natürlich sind wir für jede Hilfe dankbar. Unser Vater hatte immer eine besondere Bindung zu Küsnacht. Eine Unterstützung von den Menschen aus seiner alten Heimatstadt hätte ihn sicher besonders gefreut.»

Die Herzen im Sturm erobert

Wer das Glück hatte, Hansjörg Huber noch kennen zu lernen, war meist fasziniert von seiner unglaublichen Energie, seinem Charisma und seiner Lebensfreude. Auch in Marrakesch hatte er die Herzen der Menschen im Sturm erobert, genoss hohes Ansehen und war stadtbekannt. Oft sah man ihn von einem Termin zum nächsten eilen – immer lachend und mit vielen Unterlagen bepackt. Kompromisslos bis an die Schmerzgrenze trieb er seinen Traum voran. Sogar wenige Wochen vor seinem Tod, schon stark entkräftet, fuhr er noch ins Dorf, um nach «seinen» Kindern zu gucken. «Wir sehen ihn noch vor uns, wie er freudig durchs Dorf rennt», erzählt Yves Huber. Seine Stimme bricht kurz ab, Tränen schiessen ihm in die Augen. «Sein Verlust hinterlässt eine riesige Lücke. Aber er hätte uns ermutigt, nicht in Schockstarre zu verweilen, sondern uns an die Arbeit zu machen – und das stets mit einem Lächeln im Gesicht, nicht zuletzt, um den Kindern und den Menschen im Dorf Mut zu machen.»

Schon Anfang 2016, als es nur drei Häuser und 32 Kinder im Dorf gab, hatte Hansjörg Huber Grosses vor. Er plante, eine Schule zu errichten, ausserdem ein Haus der Integration für Kinder mit Behinderungen. Auch Reittherapie wollte er anbieten – die Kinder sollten im Zusammenspiel mit den Pferden ihr Selbstvertrauen stärken sowie ihre Traumata überwinden. Tatsächlich setzte er mit rasanter Geschwindigkeit fast all seine ehrgeizigen Pläne um und schuf aus dem Nichts ein Dorf, das Besucher aus der ganzen Welt beeindruckte. Einige von ihnen spendeten ganze Häuser, Brunnen oder Spielplätze, um Hubers Projekt zu unterstützen. In seinem letzten Interview, das er im Frühjahr 2022 mit dieser Zeitung führte, erklärte Huber noch voller Verve: «Ich möchte einen Leuchtturm schaffen, ein Pilotprojekt zur Nachahmung. Ich möchte den Kindern dieser Welt, die keine Chance haben, Visionen und Bildung schenken. Man könnte weltweit solche Dörfer bauen.»

Zur Person

Der Schweizer Unternehmer Hansjörg Huber stiess in Marokko auf das Schicksal der weggelegten Kinder, nachdem er seine Karriere in der Versicherungsbranche beendet hatte. 2008 zog er kurz entschlossen gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin nach Marrakesch. Dort setzte er mehr als zwei Millionen Euro seines Privatvermögens ein, um das erste Kinderdorf zu errichten und seinen Schützlingen in familienähnlichen Strukturen ein sicheres Zuhause und viel Liebe zu schenken. Ausserdem ermöglichte er ihnen eine umfassende Schulbildung sowie individuelle Förderung. Heute leben 200 Kinder im ersten Dorf der Atlas Kinder.

Mehr über Hansjörg Huber und sein Kinderdorf finden Sie unter:

www.atlas-kinder.org

Atlas Kinder Schweiz

«Das Wohlergehen der Kinder steht für uns an erster Stelle», sagen Hubers Söhne Alain Huber, Yves Huber und Philippe Stuker, die 2019 die Familienstiftung Atlas Kinder Schweiz gründeten, um die humanitäre Mission ihres Vaters fortzusetzen. Nun suchen sie auch in Küsnacht nach Unterstützern, um den Betrieb des ersten Kinderdorfes sicherzustellen und später weitere Kinderdörfer errichten zu können. «Viele Menschen sind sehr bestürzt über den Tod unseres Vaters und ­fragen uns, wie sie ihre Anteilnahme ­bekunden oder uns unterstützen ­können. Die Antwort ist simpel:Sie helfen uns, indem sie den Kindern helfen. Nichts anderes hätte er sich gewünscht. Wir bitten alle, auf ­Blumen und Geschenke als Zeichen der Trauer zu verzichten und stattdessen über unsere Schweizer Stiftung für die ­Kinder zu spenden. Dafür danken wir Ihnen von Herzen.» Wer Kontakt zu Hubers Söhnen aufnehmen möchte: press@atlas-kinder.org. Wer spenden möchte: Stiftung Atlas Kinder Schweiz: Zürcher Kantonalbank; IBAN: CH68 0070 0114 8024 8025 1 ​