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Dem eigenen Spiegelbild ins Gesicht sehen

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Ex-Drogenkonsument Pedro wird in der sozialtherapeutischen Einrichtung Freihof Küsnacht auf ein straffreies Leben vorbereitet. Den Landesverweis wegen eines Raubüberfalls sieht der Spanier heute als Chance für einen Neuanfang.

 Die Sonne strahlt milde vom Himmel, während sich am überquellenden Aschenbecher auf der Terrasse junge Männer auf die Nach-dem-Essen-Zigarette treffen. Pedro* will noch die Ateliertüre fertigstreichen und greift zu Pinsel und Farbeimer, vielleicht das letzte Mal. Alles, was er anfasst, macht er im Freihof das letzte Mal. Er hat den Ausschaffungsbescheid erhalten und rechnet jeden Tag damit, von der Polizei abgeholt und zum Flughafen transportiert zu werden. Der 37-jährige, in Zürich geborene Spanier hat sich mit wiederholten Straftaten sein Aufenthaltsrecht in der Schweiz verwirkt. Zuletzt hatte er einen Raubüberfall auf ein Geschäft begangen. «Mit einer Spielzeugpistole», erzählt Pedro. Und schaut dabei ein wenig unsicher unter seiner Kapuze hervor.

Das Gericht ordnete eine stationäre Massnahme nach Artikel 60 des Strafgesetzbuches an, weil die Tatbegehung im Zusammenhang mit einer Sucht stand. «Seit zwölf bin ich immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten», erzählt Pedro. «Ich bin ziemlich jung auf der Gasse gelandet, weil ich zu Hause Gewalt erlebte. Ich war 15 Jahre lang kokain- und heroinabhängig.» Ein Leben, das ihn für mehrere Jahre ins Gefängnis, in Entzugskliniken und Massnahmezentren führte. Ob der Freihof ein Wendepunkt seines Lebens ist, weiss Pedro selbst nicht. Nur so viel weiss er: «Es ist meine letzte Chance.»

In einem Zwischenschritt

Seit zweieinhalb Jahren wohnt, lebt und arbeitet Pedro in der sozialtherapeutischen Einrichtung in Küsnacht. Ziel der Massnahme ist die Behandlung der Sucht. Dadurch soll der Gefahr der Ausübung von weiteren Straftaten begegnet werden. Derzeit ist er in der sechsten und letzten Phase des Therapieprogramms im Freihof. Er hat ein Zimmer im betreuten Aussenwohnen des Freihofs an der Seestrasse, ein Zwischenschritt zur Eigenständigkeit.

In Spanien wird er auf eigenen Füssen stehen müssen. «Mir bangt davor», sagt er freimütig. «Und gleichzeitig ist es die Chance für einen Neustart.» Denn dort sei er ein unbeschriebenes Blatt. Und schliesslich sei er jetzt auch irgendwie ein neuer Mensch. Angst, wieder rückfällig zu werden, hat er nicht. «Ich stehe jetzt zu mir», sagt Pedro. Das sei das Wichtigste, was er hier drin gelernt habe. Er könne jetzt andere Menschen um Hilfe anfragen, ihnen vertrauen, sich öffnen, Beziehungen aufbauen, Fehler zugeben, um Verzeihung bitten.

Und auch Gefühle der Trauer, Wut und Unsicherheit zulassen und aushalten. «Das alles war für mich früher ein Zeichen von Schwäche.» Und die wurde mit Drogen gedämpft.

Ein Sonntagsspaziergang war der Weg freilich nicht, um an diesen Punkt zu gelangen. Ein geregelter Tagesablauf, in der Werkstatt arbeiten und Ämtli verrichten wie Kochen sind ebenso Teil der Massnahme wie mehrstündige Therapiesitzungen und Deliktarbeit. Es gab Rückfälle, Disziplinarmassnahmen, Momente der Hoffnungslosigkeit. «Das Schlimmste im Freihof ist, dass man mit sich selber kämpfen muss», sagt Pedro. «Es ist verdammt hart, zu erkennen, was man alles kaputt gemacht hat und nicht mehr gut machen kann.» Aber am Blick in den eigenen Abgrund geht kein Weg vorbei. Die sogenannte deliktorientierte Arbeit ist eine zentrale Aufgabe bei stationären Massnahmen.

«Keine Kuscheljustiz»

Dem Vorwurf, die Therapien seien «Kuscheljustiz», hält Katja Cangero, Geschäftsführerin des Freihofs, entgegen: «Die Therapien greifen direkt ins Leben des Täters ein.» Es sei nicht kuschelig, ständig mit seinem Spiegelbild konfrontiert zu werden. «Deliktarbeit braucht es zur Rückfallprophylaxe, wenn sich eine Gesellschaft dafür entschieden hat, Täter wieder in die Freiheit zu entlassen. Das dient der Vermeidung von zukünftigen Opfern.»

Die Therapie aufzugeben, obwohl er ausgeschafft werde, sei für ihn letztlich keine Option gewesen und würde ihn schliesslich wieder auf die schiefe Bahn führen. «Im Freihof habe ich das Werkzeug erhalten, um mein neues Leben zu meistern», sagt Pedro. Zwei Wochen nach dem Gespräch wurde Pedro abgeholt und nach Spanien ausgeschafft. (Isabella Seemann)

  * Name geändert