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Alle feiern, nur die Herrliberger protestieren

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Seit 125 Jahren verbindet die rechtsufrige Zürichseebahn die Gemeinden an der Goldküste. Bis der erste Zug über die Schienen rollen konnte, mussten Hindernisse überwunden werden.

Die Anfangsjahre der rechtsufrigen Zürichseebahn verliefen alles andere als geradlinig: Finanzielle Not verzögerte den Baubeginn, auf der geplanten Bahnlinie wurden Häuser gebaut und bei der Eröffnung flogen Steine auf den Zug. Aber alles der Reihe nach. Bevor auf der rechten Uferseite eine Eisenbahn gebaut wurde, musste die Bevölkerung über das Wasser reisen. Der Raddampfer «Minerva» brachte 500 Passagiere nach Zürich und Rapperswil. Schon vor der Eisenbahnlinie entstanden Ideen zum Transport der Rechtsufrigen auf dem Landweg. Beispielsweise wurde in einer Broschüre 1862 der Bau eines Rösslitrams gefordert. Doch nur neun Jahre später gründete sich im Gasthof Löwen in Meilen das Komitee für den Bau einer Eisenbahnlinie. Damit nahm die holprige Geschichte der rechtsufrigen Bahn ihren Anfang.

Finanzkrise verzögert Bau
Eigentlich wurde die Firma Kuchen & Napier für den Bau der Strecke von Zürich nach Rapperswil beauftragt. Doch diese beschränkte sich nur auf die Anschaffung von Schwellen, weshalb bald ein Unternehmen mit mehr Erfahrung im Eisenbahngeschäft gesucht wurde. Dieses fand man in der Nordostbahn (NOB), welche zu diesem Zeitpunkt ihr Schienennetz mit mehreren Projekten massiv ausbauen wollte. Dieser Grössenwahn brachte die NOB in eine Finanzkrise, unter der auch die rechtsufrige Zürichseebahn litt. So wurde der Bau zwölf Jahre lang unterbrochen, ehe die Bahngesellschaft ihre Finanzen bewältigen konnte und 1889 die Arbeiten wieder begannen.
Der lange Bauunterbruch machte sich bemerkbar. In der Nähe des Hauptbahnhofes wurden mitten auf der geplanten Bahnlinie Häuser gebaut. Dazu beschwerte sich der Besitzer der Liegenschaft zur Winkelwiese, dass der Zürichbergtunnel direkt unter seinem Haus hindurchführt. Schliesslich fand die Bahnlinie doch noch den Weg vom Hauptbahnhof zum Bahnhof Stadelhofen, es waren aber längst nicht alle Probleme gelöst. Denn als endlich Bewegung in das Projekt kam, begannen die Streitereien zu den Standorten der Bahnhöfe in den Gemeinden. In Küsnacht war man sich uneinig, ob das Bahnhofsgebäude ober- oder unterhalb der Gleise stehen sollte. Auf den ersten Blick hätte ein Stationshäuschen oberhalb der Schienen Sinn gemacht, schliesslich standen zwei Drittel bis drei Viertel der Gebäude in Küsnacht dort. Jedoch fanden die Befürworter des Bahnhofsgebäudes auf Seeseite, dass sich das Dorf aufgrund des vorhandenen Baulandes unterhalb stark vergrössern wird. Mit dieser Argumentation lagen sie gar nicht falsch, wie man heute erkennen kann. Das Stationshäuschen steht bis heute auf der unteren Seite der Schienen.
Für grössere Aufruhr sorgte die geografische Situation des Bahnhofs bei Herrliberg. Denn der Bahnhof sollte nicht in, sondern eben nur bei Herrliberg entstehen. Genauer gesagt plante die NOB die Station in Feldmeilen rund 350 Meter von der Grenze zu Herrliberg entfernt. Wegen dieser 350 Meter legten sich die Herrliberger mächtig ins Zeug. Sogar der Nationalrat und spätere Bundesrat Ludwig Forrer setzte sich für einen Bahnhof in Herrliberg ein. Nach gescheiterten Verhandlungen mit der NOB versandten die Herrliberger sogar zwei Briefe an den Bundesrat. «Wir appellieren am Rande des Abgrundes, Herrliberg von der Ausstossung zu bewahren und für gleiche Pflichten gleiche Rechten geniessen zu lassen», hiess es in einem der Briefe. Es wurden sogar Drohungen zur Sprengung des Zuges laut, wenn die Gemeinde keinen Bahnhof erhält. Trotz allem änderte sich nichts an der Lage des Bahnhofes.
Am 14. März 1894 war es so weit und die 30 Kilometer lange Bahnstrecke von Stadelhofen nach Rapperswil wurde nach vielen Verzögerungen festlich eingeweiht. Dabei störte der Regen die Stimmung kaum und alle Gemeinden (ausser Herrliberg) nahmen den Festzug feiernd in Empfang. In Küsnacht liess der «Sonnen»-Wirt Servietten drucken, bei denen Küsnacht zwischen Petersburg, Wien, Mailand und Marseille als Mittelpunkt des Weltverkehrs dargestellt wurde. In Meilen war der Andrang derart gross, dass eine Kette aus Feuerwehrmännern die Zuschauer zurückhalten musste. Auch Ürikon, Zollikon, Stäfa und Feldbach begrüssten den Festzug in Feierlaune.

«Herrliberger Eisenbahnkrawalle»
Nur in Herrliberg stiess das Fest auf wenig Begeisterung. Auf dem Hinweg wurde der Zug mit schwarzen Fahnen und zwei Masken (Bööggen) mit herausgestreckter Zunge empfangen. Bei der Rückfahrt beschossen empörte Bürger den Festzug mit brennenden Torfstücken und Steinen, sodass sogar einige Scheiben zu Brüche gingen. In der Folge landeten acht Personen wegen «Vorsätzlicher Gefährdung eines Eisenbahnzuges» in Untersuchungshaft. Der Milchhändler und seine beiden Knechte wurden für die «Herrliberger Eisenbahnkrawalle» beschuldigt. Sie mussten für zwei Monate ins Gefängnis und für den Sachschaden von sieben Franken aufkommen. Trotz der Krawalle konnte die Eisenbahn am nächsten Tag den Normalbetrieb aufnehmen. Es fuhren acht Dampfzüge pro Richtung, die jeweils 67 bis 75 Minuten für die Strecke benötigten. Zum Vergleich: Heute dauert die Fahrt der S-Bahn 7 von Stadelhofen nach Rapperswil 38 Minuten. Noch im Oktober desselben Jahres wurde das Teilstück Stadelhofen–Hauptbahnhof fertiggestellt, sodass die rechtsufrige Zürichseebahn nun komplett war.
In der weiteren Geschichte der Bahn kam es immer wieder zu kleineren Störungen. 1897 legten die Mitarbeiter der NOB einen Streik hin, nach dem Ersten Weltkrieg fuhren wegen Kohlemangels nur noch fünf Züge pro Richtung. Letzteres ist auch der Grund, weshalb die Strecke 1926 elektrifiziert wurde.
Nun feiern die Gemeinden des rechten Seeufers das 125-jährige Bestehen ihrer Eisenbahn. Auch in Herrliberg blickt man mit einem Schmunzeln auf die Geschichte zurück. Die Eröffnungszeremonie des Festanlasses findet sogar am Bahnhof Herrliberg-Feldmeilen statt.