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Ich fluche, also bin ich

Erstellt von Peter Meier |
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Als Kind las ich gern die Comics-Hefte «Tim und Struppi». Meine Lieblingsfigur war nicht der etwas altkluge Reporter Tim, sondern sein Kumpan, der bärbeissige Kapitän Haddock, ein whiskytrinkender Choleriker mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Und, was wohl den meisten Kindern gefällt: Er fluchte und schimpfte wie ein Rohrspatz. Die Gauner, die ihm auf ihren Abenteuern in die Quere ­kamen, betitelte er mit Ausdrücken wie Affen­gesicht, Süsswasserpirat, Mückenhirn in Aspik, geistigem Pantoffeltierchen oder zoologischem Abfallprodukt. Lustig fand ich auch seine Schimpfwörter, die eigentlich keine sind, aber wie solche klingen: Antipode, Ikonoklast, Logarithmus oder Autodidakt. Ich habe diese jeweils nachgeschlagen und erweiterte so meinen Fremdwortschatz.

Nicht dass ich mir den Kapitän zum Vorbild genommen hätte, aber ich fluche doch ab und zu mal, bevorzugt in vertrauter Umgebung – zum Leidwesen meiner Frau. Und seit ich gehört habe, dass man dadurch weniger Magengeschwüre bekommt oder beim Fluchen weniger schmerzempfindlich ist, halte ich mich nicht sonderlich zurück. Ich bin eben erblich auch etwas vorbelastet; was mein Vater manchmal so von sich gab, wage ich hier nicht zu zitieren; er würde wohl posthum exkommuniziert.

Meine bevorzugten Disziplinen sind: Fluchen am Computer (es gibt nichts Nervenderes als einen sturen Computer, der nicht will), Fluchen mit einem Werkzeug in der Hand (zum Beispiel beim Zusammensetzen von Möbeln) und – natürlich – Schimpfen im Auto. Am befriedigendsten sind für mich Kraftausdrücke mit Zischlauten und knallenden Konsonanten – und kurz sollten sie sein. Sie müssen klingen wie ein Überdruckventil, aus welchem gepresste Luft entweicht. Ein kraftvoll hingeschmettertes «Shit!» erfüllt diese Kriterien bestens. Ist zwar nicht so fantasievoll, aber es wirkt.

Wer es lieber auf Deutsch mag: Auch die Übersetzung taugt nicht schlecht. Seit Mani Matters Lied «E Löl, e blöde Siech, e Glünggi und e Sürmel» wurden unsere Schimpfwörter offensichtlich vulgärer, und heute tituliert man sich mit nor­malerweise verdunkelten Körperteilen und -öffnungen und deren Produkten, wobei der Fantasie und den Kombinationsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt scheinen. Bei grosser Wut wird der Mensch offensichtlich ausserordentlich kreativ – eine unterschätzte kulturelle Leistung.

Ob es einem gefällt oder (wohl eher) nicht: Fluchen und Schimpfen scheinen ein menschliches Grundbedürfnis zu sein und können den Therapeuten ersetzen. Etwas mehr Gelassenheit diesbezüglich könnte deshalb sinnvoll sein.

So, jetzt habe ich meine Kolumne über das Fluchen praktisch ohne anstössige Kraftausdrücke geschafft – habe ’ne Scheissfreude!